Samira schaut mich selbstbewusst an und strahlt über das ganze Gesicht, soeben hat sie ihren ersten venösen Gefässzugang gelegt und die Ringerlösung tröpfelt stetig in die Kammer. Als sie vor rund einem Jahr zu uns kam, war sie scheu und in sich gekehrt. Im hektischen Alltag der Praxis lernte sie jedoch schnell, sich auf neue Situationen einzulassen und in kürzester Zeit eine Beziehung zu ihren Mitmenschen aufzubauen. Täglich haben sich ihre persönlichen Grenzen verschoben und mittlerweile ist sie ein aktives Mitglied unseres Teams. Samira ist auf dem Weg, eine großartige Medizinische Praxisassistentin (MPA) zu werden. Sie arbeitet in vielen Bereichen selbständig und es macht allen im Team Spass sie zu fördern. Ein fader Beigeschmack bleibt– Samira will nach dem Abschluss ihrer Lehre nicht auf dem Beruf arbeiten, sondern wird das FH-Studium als Hebamme beginnen. Auch Lea, aktuell im ersten Lehrjahr, will nach dem Lehrabschluss nicht MPA bleiben, sondern direkt eine weiterführende Ausbildung beginnen. Von den drei Lernenden, die im letzten Jahr abgeschlossen haben, wird nur eine weiter auf dem Beruf bleiben. Für die beiden anderen ist die MPA EFZ nur eine Station auf dem Weg in eine HF Ausbildung.

Auf der Lehrstellenseite «Yousty» belegt der Beruf der MPA EFZ den 4. Platz auf der Hitliste der beliebtesten Lehrstellen der Schweiz. Ich frage mich darum immer wieder, warum so wenige auf dem Beruf bleiben, warum man offene Stellen kaum mehr besetzen kann und weshalb unser Beruf immer mehr zum Sprungbrett für andere medizinische und soziale Berufe wird.
Die MPA sind im Berufsalltag beliebt, sie sind das «Herz der Hausarztpraxis», «die gute Seele» am Telefon, welche geduldig den Leidensgeschichten zuhören. Noch heute werden im offiziellen Ausbildungsordner nicht nur alle Aufgaben einer MPA aufgelistet, es wird auch ausführlich beschrieben, dass der Beruf ursprünglich von den Arztfrauen oder Nachbarinnen ausgeübt wurde.

So wird das Bild der MPA als Helferin des Arztes weiter reproduziert: Sie unterwirft sich vollkommen dem hierarchischen Denken des Arztes und ist allzeit loyal. Eine antiquierte Ansicht auf den Beruf, welche keineswegs dem heutigen Rollenprofil entspricht. Als kompetente Fachperson managen die MPAs die Praxis und schätzen am Telefon ein, wie dringend ein Fall ist. Im Auftrag der Ärztin, bzw. Arztes führen sie Labor- und Röntgenuntersuchungen durch, legen Infusionen, organisieren die Buchhaltung und koordinieren die Termine.  Während sie Blut abnehmen, klemmt das Telefon zwischen Ohr und Schulter und dem verängstigten Patienten wird geduldig erklärt, dass sein Blutdruck mit 120/80 mmHg absolut perfekt ist. Sie sind verantwortlich für das Qualitätsmanagement und erstellen in Situationen wie der Corona Pandemie unter Zeitdruck ein Schutzkonzept für die Praxis nach den täglich wechselnden Vorgaben. Ihr handwerkliches Geschick zeigen sie beim Bereitstellen eines sterilen Tisches, ihre organisatorischen Fähigkeiten bei der Betreuung der Praxisapotheke. Der Beruf ist vieles, aber ganz bestimmt nicht langweilig. Woran liegt es also, dass wir viele MPAs ausbilden und trotzdem unter einem spürbaren Fachkräftemangel leiden? Was müssen wir den zukünftigen MPAs bieten, damit sie nach der Ausbildung auch weiterhin auf dem Beruf arbeiten möchten?

Die naheliegenden Antworten kennen wir aus den Diskussionen über den Mangel an Arbeitskräften in den Pflegeberufen: besserer Lohn, vernünftige Arbeitszeiten.
Bei den MPAs geht es meiner Meinung nach noch um etwas anderes: Wir müssen das Berufsbild verändern! Wenn wir sie weiterhin als Hilfskräfte von Ärztinnen und Ärzten anwerben, dann werden gerade die ehrgeizigeren unter ihnen die MPA-Ausbildung nicht als Basis für ihren Beruf, sondern nur als Durchgangsphase betrachten.
Dazu braucht es neben den bereits existierenden Angeboten (MPK praxisleitende und klinische Richtung), weitere Möglichkeiten der Weiterbildung und Weiterentwicklung.

Die Berufsbildung ist meine Leidenschaft, ich gehe darin auf, mich für Samira und Lea einzusetzen in der Hoffnung, dass sie die Chance noch bekommen zu sehen, dass MPA ein spannender eigenständiger Beruf mit Zukunft sein kann. Ja, es herrscht ein Fachkräftemangel im Berufsfeld der MPA, doch wir können etwas dagegen tun. Es ist Zeit, dass wir aktiv die Ausbildung weiterentwickeln und die beruflichen Perspektiven erweitern. Ohne die MPAs wird es schwierig, die Herausforderungen im Gesundheitswesen zu meistern.

(Namen wurden geändert, um die Rechte der Lernenden zu schützen)

Edith Durrer, Vorstandsmitglied Sektion Aargau