Interview mit Dr. med. Paul Scheidegger, Allergie und Haut AG. Neben der Tätigkeit in seiner eigenen Praxis in Brugg AG, betreut er eine Spezialsprechstunde im Kantonsspital Baden und ist der Mitbegründer von onlinedoc.ch.

An dieser Frage kommt man nicht vorbei in der heutigen Zeit – welchen Einfluss hat der Klimawandel auf die Allergien, den Heuschnupfen?

Die Allergiesaison kommt früher und heftiger, es blüht fast immer etwas. Pollenfreie Zeiten gibt es so gut wie nicht mehr, ausser im Herbst für kurze Zeit. Früher hat man die Patientinnen und Patienten auf 1000 Meter geschickt, um einmal pollenfrei atmen zu könne, das nützt leider auch nichts mehr. Die Grenze liegt mittlerweile bei 1600 Meter. Auch dort kommen die Pollen, man muss die Zeiten etwas timen, aber man hat die Chance der Pollenbelastung etwas auszuweichen. Auch nimmt die Vielfalt durch die Klimaerwärmung ab, man hat Birke, Erle und Hasel als eine Familie mit Beginn Dezember bis etwa Ende April. Ab April treten die Eschen in Aktion, dann die Gräser. Gegen ihre Pollen kann man impfen.  

Wann ist für dich der Moment, an dem dem eine Spezialistin oder ein Spezialist hinzugezogen werden soll?

Ganz sicher bei einem therapierefraktären Asthma, welches Cortison-pflichtig ist. Spätestens bei schwerstem Asthma sollte man die Desensibilisierung einmal diskutiert haben. Die Problematik beim Asthma ist, dass viele Patientinnen und Patienten dieses nicht spüren. Man muss es dann visualisieren. Dafür gibt es verschiedene Tests. Bei uns ist dies der Ausatemtest, der NOx Atemtest. Dieser wird durch unsere MPA durchgeführt und ist hochsensitiv. Er erfasst die Entzündung in den unteren Atemwegen relativ genau, lange bevor das Asthma sich mechanisch in der klassischen Lungenfunktion zeigt. Funktionelles Asthma wird mit diesem Test viel früher sichtbar. Wenn die Patientinnen oder die Patienten erst kommen, wenn sie eine pfeifende Ausatmung haben, ist dies schon so stark, dass es schon fast zu spät ist.

In der Praxis, oder auch im Notfall, kommen viele Patientinnen und Patienten vorbei, welche über eine laufende Nase oder tränende Augen klagen. Ist das schon der Moment, einen Ärztin oder einen Arzt aufzusuchen?

In diesem Stadium kann man es gut noch mit Lorado®Pollen, Nasenspray, etc. versuchen, da sind die Apotheken oder auch die Hausärztin oder der Hausarzt die Anlaufstelle.

Wenn sie unter Asthma leiden und zu dir kommen, wie ist nach der Diagnostik mittels Atemtests die Behandlung?

Wenn dann Asthma auftritt, sollte einmal daran gedacht werden, sich impfen zu lassen. Dies funktioniert heute sublingual und nicht mehr zwingend mit einer subkutanen Injektion, welche früher der Goldstandard war. Das habe ich in der Coronazeit kennen gelernt, da mussten wir wechseln. Die Patienten sind nach 2-3 Jahren zurückgekommen und sind begeistert vom Ergebnis. Diese Variante ist auch logistisch für uns und die Patientinnen und Patienten einfacher. Nach der Gabe der ersten Dosis bei uns mit Überwachung, bekommt die Patientin oder der Patient das Notfallset mit der sublingualen Impfung mit nach Hause und kann sich dort selbst therapieren. Im Notfallset, welches er bei der Impfung in der Hand haben muss, sind 2 Tabletten Cortison und 2 Tabletten Loratadin. Beim Auftreten von Symptomen müssen sie alle vier Tabletten gleichzeitig einnehmen. Bei Gras passiert dies eigentlich nie, aber bei der Birke schon öfter, dass es ein orales Allergiesyndrom gibt.

Bei dieser Impftherapie – ab wann darf man mit einer Verbesserung der Situation rechnen?

Eigentlich gibt es keine objektivierbaren Parameter, was etwas frustrierend ist. Die Patientinnen und Patienten lassen sich allerdings trotzdem gut überzeugen, da das Cortison nach wie vor als etwas Böses wahrgenommen wird und sie offener sind für eine natürliche Behandlung. Zudem können sie mit dieser Behandlungsform selbst etwas dazu beitragen, dass es besser wird. Die Compliance ist wirklich erstaunlich gut, allerdings habe ich vielleicht auch eine positive Selektion, da die Patientinnen und Patienten, welche bei mir landen, schon durch diverse Stufen gegangen sind.

Die Behandlung funktioniert mit 80% auch sehr gut, es sind nur 20%, welche nicht von den Medikamenten loskommen. Nach ca. einem Jahr kann man dies aufgrund der Schilderungen der Patientinnen und Patienten und der Quantifizierung der Notfallmedikation sichtbar machen. Leider gibt es keine Parameter, wie z.B. das CRP bei einer Entzündung, welche eine Besserung laborchemisch aufzeigen würden. Es gibt Antikörpertests, welche allerdings nicht validiert und somit im Alltag nicht brauchbar sind. Der Start der Behandlung liegt ausserhalb der Pollensaison, in welcher die Patientinnen und Patienten betroffen ist. Der Behandlungsplan ist auf insgesamt drei Jahre ausgelegt.

Gibt es eine Altersgrenze für die subkutane Impfung?

Früher hat man gesagt, dass es ab 50 Jahren nicht mehr sinnvoll ist. Heute kommen immer mehr über 50Jährige mit der Erstdiagnose Asthma. Zuerst denkt man, es sei kardiales Asthma, aber dann merkt man, es ist allergisches Asthma. Unsere «Alten» sind immer jugendlicher und es kommt vermehrt zu dieser späten Diagnose. Oft sind das filigrane Frauen, welche kardiovaskulär in einem hervorragenden Zustand sind und noch Sport machen möchten. Dies ist eine Verschiebung in der aktuellen Altersstruktur, in der man länger aktiver und gesünder bleibt und ist.

Jetzt haben wir über die Therapie gesprochen – was gibt es Neues in der Diagnostik von Allergien und Heuschnupfen?

Die Diagnostik hat sich verfeinert. Wir haben nun die Möglichkeit die verschiedenen Komponenten der Birkenallergene zu testen.

Kann so auch feiner behandelt werden?

Leider hinkt dies noch hinterher. Die Therapie hat mit der Diagnostik nicht mitgezogen. Um eine Therapie zu entwickeln, braucht es sehr viele Studien, was nicht attraktiv ist und dafür findet man wenig Firmen, welche viel Geld in dir Trials investieren wollen. Dies aus dem einfachen Grund, dass zu wenig Patienten gibt, die Therapie somit nicht lukrativ wird. Das bedeutet aktuell leider, so genau die Diagnostik ist, so undifferenziert ist die Therapie im Moment. Wir arbeiten immer noch mit den Extrakten der Bäume wie vor 30 Jahren. Wir haben in der Schweiz keinen offiziellen Zugang zu der klassischen Eschensensibilisierung, obwohl diese eine typisch helvetische Allergie ist. Die Esche blüht spezifisch im März und im April, man leidet kurz und heftig darunter und es ist kein Impfstoff verfügbar, der von den Schweizer Krankenkassen übernommen wird. Hier besteht eine klare Impflücke.

Du bist der Begründer von onlinedoctor.ch – was hältst du von den im Netz verfügbaren Allergietests/Heuschnupfentests?

Die sind nicht validiert und am Schluss muss man alle Tests noch einmal wiederholen. Diese Abklärungen eignen sich nicht für Onlinetests, an einem Atemtest und einer Serologie kommt man in der Diagnostik und Behandlung von Allergien nicht vorbei. Man könnte sich vorstellen, dass es längerfristig ausgebildete MPA, MPK klinischer Richtung, oder Special Nurses, welche uns Spezialistinnen und Spezialisten den Teil der Diagnostik abnehmen würden, dann könnte die Beratung online stattfinden. Das kann überall sein, wo eine medizinische Infrastruktur vorhanden ist. Dort könnten die Tests und die Befragungen durchgeführt werden, auf dieser Grundlage könnten solide Empfehlungen online abgegeben werden. Ich mache das oft so, dass ich die Patientinnen und Patienten oft nur einmal sehe und dann die Behandlungsempfehlung per Mail bekannt gebe.

Du sprichst sehr begeistert von deinen MPA – gibt es trotzdem Skills, welche du dir von einer MPA/MPK wünschen würdest?

Prick-Test war früher eine der Kernaufgaben der MPA. Diese haben heute allerdings nicht mehr so einen Stellenwert, da die Serologie und der Atemtest weniger störanfällig sind. Hinzu kommt, dass die Firmen die Prick Lösungen nicht mehr liefert, da es sich nicht mehr lohnt für sie. Trotz allem machen die MPA sehr viel für uns wie die Eosinophilie im EDTA-Blut, Atemtest und die Serologie Testung auf 250 Allergene. Die MPA sind sehr zentral bei uns, wir können sie gut allein arbeiten lassen mit diesen Tests und mit den Checklisten der Symptome, welche sie mit den Patientinnen und Patienten durchgehen, um vernünftige Antworten zu erhalten.

Ich könnte mir gut vorstellen, den Teil der «Sentinels» ("Schildwächter") der MPA auszubauen, um uns Fachärzte zu entlasten. An Skills kommen hier noch hinzu, dass sie die Biologicals, die Antikörperbehandlungen, machen. Hier braucht es nur für die Indikationsstellung einen Arzt. Für die Instruktion der Injektionen sind die MPA/MPK hervorragend geeignet. Sie trainieren die Patientinnen und Patienten in der Handhabung der Anwendung des Epipens, der fachgerechten Inhalation, oder des richtigen Verhaltens des Patienten im Umgang mit seiner Allergie. Etwa 50 – 60% der Aufgaben, welche vor 30 Jahren noch die Ärztinnen und Ärzte gemacht haben, übernehmen heute die MPA und MPK. In der allergologischen Behandlung und Begleitung ist diese Zahl sogar bei 60 – 70%. Das setzt ein vertieftes Wissen über die Medikamente, ihre Wirkung, die Behandlung des Zielsymptomes und Nebenwirkungen voraus, das müssen sie sich aneignen. Sie haben eine äusserst wichtige pädagogische Teachingfunktion für uns. Ohne sie könnte ich meine Arbeit nicht machen. Das Ziel gebe ich vor, setze den Qualitätsstandrad voraus, aber den Weg dahin überlasse ich ihnen. Wir haben interne und externe Schulungen für unsere MPA und die jüngeren übernehmen ihr Wissen von den erfahreneren MPA.