Flexibilisierung und Kommunikation auf Augenhöhe: Neue Lernkulturen basieren auf einem Wertewandel
Industrien und Sektoren verändern sich und damit einhergehend auch die Anforderungen an Arbeitskräfte. Deshalb sind auch in der Ausbildung Innovationen gefragt, die sowohl den Bedürfnissen der Lernenden als auch denen der Organisationen Rechnung tragen. Das Lernen soll im Kontext der Arbeit in Verbindung stehen mit einer Handlungsorientierung, die junge Erwachsene früh befähigt selbstständig, verantwortungsbewusst und initiativ zu handeln. Neben fachlicher Kompetenz nimmt neu auch die Herausbildung verschiedener transversaler Kompetenzen, wie Kommunikation, Kooperation oder kritisches Denken einen hohen Stellenwert ein.
An der Eidgenössischen Hochschule für Berufsbildung haben sich Wissenschaftler*innen in den letzten sechs Jahren intensiv im Rahmen verschiedener Fallstudien mit der Gestaltung innovativer Lernkulturen in Schweizer Unternehmen der Branchen Telekommunikation, Öffentlicher Verkehr, Post, Handel, Pharmazeutische Industrie sowie Maschinenbau beschäftigt. Neben zahlreichen Beobachtungen vor Ort, wurden Interviews mit Lernenden, Ausbilder*innen und Ausbildungsleitenden geführt. Die Wissenschaftlerinnen sprechen ganz bewusst von neuen Lernkulturen, da Werte, Einstellungen und Überzeugungen, die eine Kultur kennzeichnen, einem Wandel unterliegen. Nur so haben neue Ansätze in der Ausbildung eine Chance.
Junge Erwachsene erwarten heute beispielsweise eine Kommunikation auf Augenhöhe. Sie wünschen sich Respekt und Kollegialität, so dass sie sich als vollwertiges Mitglied einer Arbeitsgruppe fühlen können. In vielen Unternehmen wurde die «Du Kultur» auch in der Ausbildung eingeführt. Lernende begeistert die Leichtigkeit, mit welcher sie mit Kolleginnen und Kollegen in Kontakt kommen. Sie möchten sich und ihre Ideen in der Arbeitswelt einbringen. Dazu gehören die Wahrnehmung ihrer Interessen, das Einbringen von Verbesserungsvorschlägen oder das Ausprobieren von neuen Wegen. Wichtig dabei ist, dass Lernende lernen die Perspektiven ihrer Mitarbeitenden und Vorgesetzten zu verstehen und, das was sie für sich selbst erwarten auch anderen zugestehen. Zum Lernen gehört unbedingt zeitnahes und konstruktives Feedback zu ihrer Arbeit, aber auch zu ihrem Verhalten. Schlussendlich führt eine gelebte Fehlerkultur, die Fehler als wichtige Elemente des Lernens für die Arbeit und das Leben behandelt und konstruktiv damit umgeht, zu einer vertrauensbildenden Lernkultur.
Neu ist, dass Unternehmen Lernenden früh mehr zutrauen und bereit sind Verantwortung zu übertragen. So können Lernende beispielsweise selbständig komplexe Aufgaben, wie das Führen einen Bahnhofes bei der SBB oder einer internen Projektgruppe bei der Schweizerischen Post, bewältigen. Auch dem Bedürfnis nach mehr Flexibilität und individueller Förderung wird Rechnung getragen in dem begabte Jugendliche bereits Vorlesungen an der Fachhochschule besuchen können, eine Zeit im Ausland verbringen oder sich im Rahmen von Praktika an anderen Unternehmensstandorten oder bei Partnerunternehmen neue Kompetenzen aneignen. All dies setzt eine neue Art der Lernbegleitung voraus. Neben Beratung und Betreuung, dass teilweise bereits als Coaching interpretiert wird, ist auch das stete Abwägen zwischen neuen Freiheiten und klaren Grenzen eine Herausforderung für die Ausbildungsbegleiter. Die Gestaltung dieser neuen Lernkultur erfordert auch und gerade bei ihnen einen Wertewandel, der durch passende Weiterbildungen unterstützt werden sollte.